Das Grünland-Projekt

26. Mai 2017
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Wer meine Zeilen schon eine Weile verfolgt, hat schon vom Räuberland gelesen. Trotzdem noch einmal kurz: Das Räuberland liegt im Spessart und ist ein Zusammenschluss aus mehreren kleinen Gemeinden. Vor zwei Jahren durfte ich das Räuberland bei den 24 Stunden von Bayern erwandern und in vielen Facetten kennen lernen und auch im letzten Jahr war ich bei einer Wanderveranstaltung zugegen, den 12 Stunden im Räuberland. Beide Male war ich sehr angetan. Sowohl von der Natur als auch von den Menschen, denen ich bisher begegnet bin. Einer davon war bereits vor einem Jahr Ernst Bilz, ein Natur- und Landschaftsführer.

Ihn habe ich in diesem Jahr wieder getroffen und er hat mir dabei seine große Leidenschaft vorgestellt. Viele Menschen haben ein Hobby, so manch einer auch ein sehr spezielles. Manche kochen gerne, gehen häufig ins Kino, machen Yoga oder wenn es etwas ausgefallener sein soll sammeln sie Stadien, so wie ich. Doch wir alle können nicht mithalten mit Ernst! Der versucht nämlich die Welt zu retten auf eine ganz bestimmte Art und Weise. Auch nicht die ganze Welt, aber zumindest ein Stück davon, nahe seines Wohnorts Mespelbrunn.

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Das Räuberland bietet eine bunte Mischung aus Wäldern, sanften Feldern, Hügeln und Tälern. Viele Täler jedoch wurden bereits vom Wald erobert, der immer auf dem Vormarsch ist. So sind bereits ganze Täler verschwunden und zu Wald geworden. Die Täler jedoch bieten einen wichtigen Lebensraum für eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren, besonders Vögeln und Schmetterlingen. Ernst Bilz hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein Tal unter dem Namen Grünland-Projekt zu erhalten. Er nimmt mich mit in sein Projekt und beginnt zu sprudeln. Ein unheimlicher Schatz an Wissen strömt auf mich ein, und ich frage immer weiter nach. Er spricht ganz offen, seine Art ist unheimlich mitreißend und man hört ihm gerne zu. Immer wieder fragt er nach, ob es mir noch nicht zu viel ist und ob ich mir das überhaupt alles merken kann, doch ich bin wissbegierig und dieses Projekt ist noch dazu das Zuhören wert.

Das Grünland-Projekt befindet sich auf dem sogenannten Kaltenbachgrund nahe Mespelbrunn. Es zieht sich über mehrere Grundstücke, die für das Projekt zur Verfügung gestellt wurden. Was genau aber ist das Projekt denn nun? Ernst besitzt eine kleine Herde von Ziegen und Moorschnucken. Das sind kleinere und leichtere Schafe. Sie sind Spezialisten für Landschaftspflege in Mooren und Feuchtwiesen, und genau das haben wir im Kaltenbachgrund. Die Tiere werden also zur Landschaftspflege dort eingesetzt.

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Doch so einfach das auch klingen mag, dahinter steckt noch viel mehr!

Erst einmal muss man dafür ein besonderer Mensch sein, mit einer besonderen Leidenschaft für die Natur und bestimmte Lebewesen. Im Fall von Ernst Bilz ist es ein ganz bestimmter Schmetterling, nämlich der dunkle Wiesenkopf-Ameisenbläuling. Optisch ist dieser viel weniger auffällig als manch ein ebenfalls hoch im Kurs stehender anderer Falter. Er ist sehr selten geworden, nur im Alpenvorland findet man ihn noch etwas häufiger. Diese Falter sind an Feuchtwiesen gebunden, da sie sich ausschließlich vom Saft einer einzigen Pflanze ernähren, nämlich den Blüten des Großen Wiesenkopfes. Der Ameisenbläuling legt seine Eier an die Blütenköpfe, die daraus entstehenden Raupen fressen die Blütenköpfe auf und lassen sich fallen. Nun kommt der etwas fiese Zug dieser Gattung, nämlich riechen die Raupen ähnlich wie die verschiedener Ameisenarten. Die Ameisen denken nun, dass es sich um eigene Raupen handelt und tragen sie brav in ihren Bau und füttern sie durch, bis sie schlupfen. Dann müssen sie schnell raus aus dem Bau, weil die Tarnung mit dem Schlüpfen ja sozusagen aufgeflogen ist. Der Rückgang dieses Schmetterlings hängt wohl auch mit dem Rückgang der Ameisen zusammen und eben mit den immer mehr zurückgehenden Feuchtwiesen.

Ernst möchte natürlich nicht nur diesen Schmetterling retten sondern freut sich auch über viele andere Tiere, die er schon in seinem Projekt gesichtet hat, und mehrere davon sind nicht gewöhnlich. Beispielsweise hat er bereits Besuch von einem Schwarzstorch bekommen, der so wunderschöne Eisvogel hat sein Zuhause dort und auf dem wilden Thymian sitzt das Thymian-Widderchen. Nicht alle Tiere bekomme ich selber zu Gesicht, aber Ernst ist gut vorbereitet und hat eine Mappe dabei, kann mir jedes genannte Tier auf eigenen Fotografien zeigen, das sich in meiner Gegenwart nicht blicken lässt. Für eine umfassendere Beobachtung müssten wir uns einfach ein paar Stunden setzen und schweigen. Aber leider habe ich eben nur einen Nachmittag, um alle Infos aufzusaugen und das Gelände zu erkunden sowie die dahinter liegende Quelle der Elsava, die genau genommen auch gar nicht die Quelle der Elsava ist, denn diesen Namen trägt der Bach erst ab Hessenthal.

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Die Elsava-Quelle: Das Wasser kommt direkt aus dem Felsen, aus mehreren Stellen

Eine ganz besondere Freude an diesem Tag, an dem er mit mir in seinem Projekt war, bereitete aber eine Pflanze. Wiesen sind je nach Anzahl der „beherbergten“ Pflanzen unterschiedlich gesund und/oder wertvoll. Es gibt sogar Wiesenmeisterschaften, und obwohl der Naturführer kein Spezialist für Pflanzen ist, hat er einmal an einer teilgenommen und dabei den sechsten Platz erreicht. Das ist eine beachtliche Leistung für einen Hobbywiesenpfleger, aber es spricht für ihn und sein Projekt und die Art, die Landschaft zu beeinflussen. Bereits bei der Kategorisierung aller Pflanzen wurde ihm gesagt, dass seine Wiese besonders vielfältig ist und sogar Orchideen auf seiner Wiese wachsen, doch er selbst hat noch keine gesehen. Was für ein Ereignis also, als wir durch Zufall auf eine kleine Orchidee gestoßen sind!

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Noch ganz klein: die gefundene Orchidee

Ganz wichtig ist, dass es nicht darum geht, einfach nur den Wald zurück zu halten oder gar zu zerstören, kaum ein Gedanke liegt ferner als dieser. Es geht darum, zusätzlich zum Wald eine Grünflache und Feuchtwiese zu erhalten, die als eine Art Biotop für die dort lebenden Tiere und Pflanzen fungiert. Man könnte sonst ja auch einfach den Wald abholzen. Aber das wäre nicht umweltverträglich.

Auch auf die Frage warum gerade Moorschnucken dort ihre Arbeit leisten gibt es eine logische Antwort. Man könnte ja theoretisch auch Schafe nehmen, aber da kämen dann mehrere Probleme zusammen. Normale Schafe sind größer und schwerer als Moorschnucken und würden die Feuchtwiese einfach platt trampeln. Zusätzlich sind die Moorschnucken in ihrer Nahrung weniger anspruchsvoll und mit den dort vorhandenen weniger nährstoffreichen Gräsern zufrieden. Für Schafe wäre dies nicht ausreichend. Damit das Grünland nicht einfach platt getrampelt wird, arbeitet auch nur eine relativ geringe Zahl von Tieren dort. Es soll eben verträglich sein, keine Hauruck-Verdrängung der kleinen Bäumchen, die sich gerade ihren Weg bahnen sondern ein kontrolliertes Schaffen von Lebensraum in gesunder Geschwindigkeit.

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Wilder Thymian

Damit die Arbeitstiere ihre Arbeit auch an den richtigen Stellen verrichten, hat Ernst einen elektrischen Zaun errichtet. Eine Bedingung war, dass der Zaun wilddurchlässig ist und dass man den Strom von überall an- und abschalten kann. Also nicht einfach nur Draht um ein Gelände gezogen, sondern einen modernen und vor Allem teuren Zaun erstellen lassen. Wildschweine gehen unten durch, Rotwild kann problemlos darüber, doch die Ziegen und Moorschnucken bleiben im Gebiet. Wild gibt es hier in der Gegend haufenweise. Auf meiner Anfahrt treffe ich ein Reh auf dem Weg zur Fahrbahn (zum Glück reagieren wir Beide, ich mit Vollbremsung und das Reh mit Kehrtwende in voller Geschwindigkeit) und Spuren von Wildschweinen sind überall zu sehen. Ich erfahre, dass Wild immer die gleichen Wege nimmt und bekomme eine „Wildautobahn“ zu sehen. Sieht aus wie ein Trampelpfad durch Menschen, vielleicht etwas schmaler. Eigentlich war ich aber gerade beim Thema Geld. Denn es ist nicht so, dass dieses Projekt von den Gemeinden finanziert wäre oder Ähnliches. Für den Bau des Zauns hat der Naturfreund im Nachhinein einen Zuschuss bekommen, der ungefähr die Hälfte der Kosten von rund 10000 Euro gedeckt hat. Doch für Futter im Winter, Unterbringung im Stall im Winter und den dazugehörigen Transport oder gar das Holen eines neuen Tiers aus dem Norden („mir ist ein Bock kaputt gegangen“) gibt es keine finanzielle Unterstützung. Wie traurig ist das eigentlich, dass ein einzelner Mensch die Kosten für die Erhaltung dieses Landstrichs, der einen Lebensraum – den einzigen – für einige geschützte Tiere darstellt, selber tragen muss? Natürlich ist es ja sein eigenes Ding, ob er das machen will oder nicht, Niemand zwingt ihn dazu. Dass sein Projekt aber ein Aushängeschild ist und eine ganz besondere Leistung, das wird nicht gewürdigt oder zumindest nicht ausreichend. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, das Grünland-Projekt nicht einfach nebenbei mal zu nennen sondern in einem eigenen Blogbeitrag etwas genauer zu erklären.

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Ein solches Projekt ist nicht nur ein finanzieller Aufwand, vor Allem geht eine ganze Menge Zeit drauf. Man kann die Herde nicht tagelang sich selbst überlassen, man muss ja immer prüfen ob alles in Ordnung ist. Dabei nimmt Ernst meist etwas Futter mit, ein paar Brötchen, die ihm im Ort von wohlgesinnten Anwohnern überlassen werden. Die Moorschnucken müssen geschoren werden, Hufe müssen gekürzt werden, das Gras unter und um die Zäune muss mehrere Male im Jahr gemäht werden. Ernst hat auch eine Plattform gebaut, von der aus man auf sein Projekt schauen kann und die Tiere beobachten kann. Und Infotafeln. Alles für den guten Zweck.

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Im Projekt mit einem Holzzaun geschützt: unter Naturschutz stehende Waldameisen

Natürlich bin ich beeindruckt von Ernsts Wissen und seiner Passion. Und gleichzeitig empfinde ich im Grünland-Projekt noch etwas Anderes. Obwohl hier die Natur sanft beeinflusst wird, empfinde ich hier ganz besonders das Gefühl von Ursprünglichkeit. Im Räuberland habe ich schon an vielen Stellen gesagt, dass es hier so natürlich wirkt und ursprünglich. Doch für diesen Streifen Land zählt das ganz besonders. Obwohl man immer wieder Autos hört oder auch Flugzeuge, fühlt man sich hier ganz besonders in der Natur angekommen.

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Ich habe von einem Projekt gelesen aus dem Yellowstone National Park. Dort hat man den Wolf wieder angesiedelt und dies führte zu einer Verkettung von Ereignissen, die den Park und die Natur gänzlich verändert haben, zum Positiven. Ein ähnliches Gefühl habe ich hier, die Natur wird durch den Einsatz natürlicher Mittel positiv beeinflusst, so weit möglich ein vielfältiger Lebensraum geschaffen. Wie schade, dass der Spessart so dicht besiedelt ist, dass man nicht auch einfach den Wolf wieder ansiedeln kann. Dann bekäme man nämlich auch das Problem mit dem zu zahlreichen Schwarzwild wieder in den Griff und die Natur könnte sich noch viel besser selber helfen. Ich will aber gar nicht über Wölfe in unmittelbarer Nähe zu Siedlungen nachdenken. So ist die Natur auf Hilfe von außen angewiesen, und die bekommt sie im Grünland-Projekt.

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Ich hoffe, dass es auf der Welt noch viele Menschen gibt, die so handeln wie Ernst Bilz, in erster Linie selbstlos und für die gute Sache! Und ich bin erschrocken von der Diskrepanz, die ich immer wieder erlebe und auch an diesem Tag erlebt habe, denn wenige Meter hinter dem Grünland-Projekt haben wir im Unterholz einen alten Grill gefunden, den Jemand einfach dorthin geworfen hat. Wie traurig ist das eigentlich, dass sich manche Menschen so bemühen für die Natur und Andere sie so mit Füßen treten?! Dies ist also auch ein Appell an Alle, inklusive mir selbst! Sicher hat Jeder Anknüpfungspotenzial, wie er die Welt und die Natur ein Stück besser machen kann. Nicht Jeder kann so ein Projekt aufziehen wie Ernst Bilz. Aber ab und zu aufs Fahrrad umsteigen, den Müll trennen oder das Licht nicht unnötig brennen lassen, das können wir Alle! Ich wünsche mir, dass Jeder ein wenig mehr auf seine Umwelt achtet und der Natur ein bisschen mehr zurück gibt von dem, was sie für uns tut.

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