Survival-Wochenende im Winter

26. Januar 2014
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Gerade erst von Indien zurück gekommen breche ich schon wieder zu meiner nächsten Tour auf. Diesmal teste ich mich und einen meiner Klienten auf unsere Härte. Oder unsere Überlebensfähigkeit. Dieser Trip wird Survival pur. Zunächst wollte ich gar nicht daran denken. Schöne 46 Grad in Indien (Hampi) und an den anderen Orten doch zumindest grundsätzlich über 30 Grad und hier fahre ich nun bei unseren Temperaturen gegen den Nullpunkt auf eine Hütte ohne Strom, ohne Heizung und ohne fließendem Wasser.

Nun gut, ich meine also mich gut ausgerüstet zu haben. Zusätzlich zu Schlafsack und Inlet habe ich eine Rettungsdecke und eine Wärmflasche dabei, denn es gibt wohl einen Gaskocher in der Holzhütte. Wasser wärmen sollte also möglich sein. Diverse dicke Socken, eine Mütze und Handschuhe gehören noch zur Ausrüstung. Ich werde in der Hütte auf einer Matratze schlafen, brauche also keine Isomatten oder dergleichen.

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Fertig gepackt für das Survival-Wochenende

Das ganze Survival-Wochenende ist eine spezielle Aktion für und mit einem Jugendlichen meiner Arbeit. Der sagt, dass er ein bisschen härter ist als ich und will im Zelt schlafen. Auf der Wohngruppe suchen wir dann noch ein Zelt, das ich für geeignet halte und zwei Schlafsäcke für ihn. Unsere Schlafsäcke sind alle nur auf deutliche Plusgrade ausgelegt, sein Material ist also nicht so der Hit. Auch er bekommt noch eine Rettungsdecke mit. Außerdem zwei aufblasbare Isomatten für ihn. Mehr hilft mehr, hoffe ich.

Los geht es dann am Freitag. Ich habe Kartoffeln und Quark besorgt, das lässt sich einfach im Feuer zubereiten. Außerdem haben wir zwei Flaschen Leitungswasser im Gepäck. Ein voll besetzter Zug und Umsteigen ist mit unserem Gepäck nicht so witzig, aber wir machen es einfach trotzdem. In Schweinfurt werden wir am Bahnhof abgeholt und auf die Hütte gefahren, wo uns alles gezeigt wird.

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Unser Gelände mit dem Zelt

Zunächst bauen wir das Zelt auf und richten die Schlafstätte her, aber unser wichtigstes Werk des Tages ist Holz sammeln.

Als wir schätzen, dass uns unser Holz für 4 Stunden reicht, machen wir es uns gemütlich. Der junge Mann hat Hunger und wir zünden das erste Feuer an. Wir bezeichnen es als „Grillfeuer, das Erste“. Die Kartoffeln wickeln wir in Alufolie und werfen sie einfach ins Feuer. Sie sind schnell fertig und die Mahlzeit tut gut. Zwischendurch gibt es für den ersten Hunger Fisch aus der Dose.

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Das erste Feuer dient dem Abendessen

Da wir vom Arbeiten bzw Sammeln selbst noch aufgeheizt sind, brauchen wir das Feuer zumindest zum Wärmen anfangs noch nicht. Dann wird es langsam dunkel, langsamer als wir erwartet haben. Die Sonne ist längst weg, aber der Himmel wird dennoch erst spät richtig schwarz.

Wir frieren inzwischen und versuchen uns das Feuerholz so einzuteilen, dass es lange reicht. Am Ende haben wir es komplett verschürt.

Zwischendurch packe ich noch eine Tafel Schokolade aus, ernte dafür ein „Killer!“ – das größte Lob. Der Abend ist geprägt von guten Gesprächen, das Feuer verleiht eine positive Atmosphäre. Und die davon ausgehende Wärme rettet uns.

Als wir nur noch wenig Glut haben -das ist gegen 21 Uhr- beschließen wir schlafen zu gehen. Im Dunklen losziehen und neues Holz sammeln wollen wir nicht. Wenn wir erst mal ausgekühlt sind, fällt das Einschlafen schwerer. Daher gehen wir nun gleich ins Bett, auch wenn es eigentlich viel zu früh ist. Wir hätten etwas später anfangen sollen mit dem Feuer, vielleicht.

Nun gut, dann ab ins Zelt und in die Hütte. In der Hütte ist es genauso kalt wie draußen, tagsüber ist es außerhalb sogar wärmer. Als ich mich etwas genauer umsehe merke ich, dass der Begriff Hütte eigentlich zu hoch gegriffen ist. Bretterverschlag wäre treffender, mit sehr vielen Löchern nach draußen.

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Von außen sieht die Hütte ganz gut aus – der Schein trügt aber

Seit es dunkel ist, hat die Temperatur ordentlich angezogen. Ich zünde eine Kerze an für Licht und bereite mein Lager in diversen Schichten, ziehe mich in ebenfalls diversen Schichten um. Dann geht es in die Schlafsackdeckenkombination. Arschkalt hier. Nach einer Weile wird es insgesamt etwas besser, die Füße werden aber immer kälter. Mit kalten Füßen kann ich nicht einschlafen. Stattdessen steigt dann immer der Harndrang. Das bedeutet, dass ich mehrfach in die Kälte nach draußen muss.

Ich ziehe alle Zipper so weit wie möglich zu und lege die Seide vom Inlay über mein Gesicht, denn auch das Gesicht ist eiskalt. So geht es einigermaßen und ich nicke auch kurz ein.

Dann wache ich leider wieder auf und es ist noch mehr eiskalt. Ich versuche einzuschlafen, drehe mich hin und her. Egal wie ich mich hinlege, es ist schlicht zu kalt.

Der Blick auf die Uhr sagt mir Mitternacht. Oh man, noch so lange in dieser Kälte! Dann entscheide ich mich aufzustehen (noch kälter!) und stelle einen Topf auf den Gaskocher, fülle Wasser ein, mache es heiß und befülle damit meine Wärmeflasche.

Zurück im Bett schiebe ich die Wärmeflasche an die Füße, denn die waren wohl am kältesten. Ich kontrolliere noch mal den korrekten Sitz aller Decken, besonders der Rettungsdecke zwischen Inlay und Schlafsack, damit ich komplett eingehüllt bin. Die Wärme an meinen Füßen ist sehr angenehm und dann kann ich trotz eiskaltem Gesicht einschlafen.

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Mein Schlafsacklager

Am Morgen wache ich auf, weil es hell ist. Um 9 Uhr hätte mein Wecker geklingelt, aber wach bin ich schon eine Stunde früher. Erstaunlicherweise friere ich nicht, im Gegenteil. Mir ist sogar warm. Ich bleibe also erst mal liegen und genieße es, die Wärme nicht nur im Schlaf zu haben sondern auch bewusst zu spüren.

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Zähneputzen an der frischen Luft

Um kurz vor 9 geht es dann doch zur Morgentoilette. Ein wenig Wasser ins Gesicht, Zähneputzen und Umziehen. Auch mein Jugendlicher erwacht zum Leben. Zwischendurch hatte ich mir ob der Kälte schon etwas Sorgen gemacht. Ich frage, wie es im Zelt war und er sagt „es ging schon“. Später kann er zugeben, dass es „arschkalt“ war und er die halbe Nacht frierend wach lag. Zum Frühstück gibt es eine Nussmischung, zumindest zur ersten Stärkung. Dann schultern wir den leeren Rucksack und machen uns auf in den Ort.

Hier gibt es keinen Laden, wir müssen also einen Ort weiter, der nächste Laden liegt ungefähr fünf Kilometer entfernt. Erst geht es bergab und dann flach, der Weg ist angenehm zu laufen. Grausam ist nur Gedanke, dass wir den ganzen Berg auch wieder hoch müssen auf dem Rückweg.

Wir finden ohne Probleme den einzigen örtlichen Laden des Nachbardorfes und kaufen ein. Wir geben 10 Euro aus, knapp 5 Euro davon machen die Steaks aus, die wir uns heute gönnen. Außerdem ein bisschen Grünzeug, Tomate und Gurke. Als wir die Tomaten später essen, erkennen wir wie gut uns das tut. Erst aber gibt es noch Frühstück, auf einer Mauer in Schonungen. Ein Quarkteighase und Cappu aus dem Becher, das war es. Dann geht es wieder zurück.

Wir wählen jetzt einen anderen Weg, denn als wir mit dem Auto zur Hütte gebracht wurden erfuhren wir, dass es auch einen Weg quer durch den Wald gibt. Den wollen wir finden. Während unser Hinweg die meiste Zeit flach war führt uns dieser Weg komplett bergan. Keine kurze Verschnaufpause oder dergleichen. Einfach stetig bergan, bis wir kurz vor der Hütte endlich ein flaches Stück haben. Zu finden war der Weg leicht, entgegen der Hinweise unseres anfänglichen Guides.

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Mit Jugendlichen gehören verschiedenste Grenzerfahrungen zum Survival dazu

Was tun wir nun? Holz sammeln! Und zwar deutlich mehr als gestern!

Wir wollen schließlich ordentlich grillen, und dafür brauchen wir ordentliches Feuer. Außerdem wäre ein wenig länger als 21 Uhr auch ganz nett. Wir sammeln also Holz, beide an verschiedenen Orten und so ist schnell der komplette Tisch voll mit Feuerholz. Das sollte für den Abend reichen, denken wir.

Dann schüren wir ziemlich früh das erste Feuer, denn es ist heute frischer als am Vortag. Das Thermometer zeigt heute genau wie gestern 6 Grad, allerdings ist es heute relativ windig, und der Wind ist richtig kalt. Weil es so kalt ist, machen wir das Feuer ziemlich groß und dementsprechend schnell schwindet der Vorrat.

Immerhin werden die Steaks superlecker und wir genießen. Was wir noch mehr genießen sind die frischen Tomaten. Ratzfatz ist die ganze Packung leer. Dann begutachten wir unseren Holzvorrat, der vor dem Grillen ein doch beachtlicher Stapel war und entscheiden, dass das auf keinen Fall reicht.

Also sammeln wir ein zweites Mal, um uns ordentlich warm halten zu können. Ein Feuer der gestrigen Größenordnung reicht dafür nicht. Ich schalte mein Smartphone an und checke meine Wetterapp, die zeigt mir 2 Grad an. Kein Wunder, dass wir frieren. 2 Grad in Kombination mit Wind ist echt unangenehm.

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Steak über offenem Feuer

Dann haben wir wieder ordentlich Feuer. Ich bekomme eine Nachricht auf mein Handy, dass wir heute Nacht ordentlich Minusgrade bekommen sollen. Es dämmert gerade und wir erinnern uns an den gestrigen Temperatursturz bei Dunkelheit. Ich checke erneut das Thermometer und es sagt bereits -2, obwohl es noch nicht dunkel ist.

Dann überlegen wir. Bleiben oder gehen? Es gibt noch einige Züge von Schweinfurt aus. Schweinfurt, das bedeutet: im Dunklen vollbepackt den Berg runter und dann 12 Kilometer zum Ortseingang, im Ort noch ungefähr weitere zwei bis drei zum Bahnhof. Aber eine andere Möglichkeit gibt es nicht, und morgen früh würden wir ja denselben Weg gehen.

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Das Feuerholz würde nicht mehr reichen für die Nacht

Da wir letzte Nacht schon ordentlich gefroren haben und es nun deutlich kälter ist, entscheiden wir uns zu gehen. Es ist mir schlicht zu gefährlich. Es muss nicht sein, dass ich einen erfrorenen Jugendlichen aus dem Zelt ziehe, weil unsere Ausrüstung das nicht hergibt. Survival soll eine Grenzerfahrung sein, aber muss ich ein Leben wirklich in Gefahr bringen? Vor Allem ist es ja mein Job, die Jugendlichen von Gefahren so gut wie möglich fern zu halten.

Wir müssen uns beeilen, denn wir würden gerne die Hütte verlassen, bevor es stockfinster ist. Es ist bei Licht schlicht einfacher, alles aufzuräumen.

Wir haben einen Kanister mit 5 Litern Wasser. Den verwenden wir, um das Feuer und die Glut in der Feuerschale zu löschen. Das auf den Tisch gestapelte Holz sortiere ich in einen kleinen Verschlag, so dass zukünftige Besucher weniger sammeln müssen, weil sie auf unseren Vorrat zurückgreifen können. Außerdem spüle ich ab und packe meine Sachen. In der gleichen Zeit arbeitet natürlich auch mein Klient: es werden Isomatten entlüftet, gerollt, Schlafsäcke gepackt, Zelt abgebaut und alles verstaut. In der Hütte wird alles dicht gemacht, Fensterläden verriegelt und dergleichen.

Eine letzte Kontrolle aller Schlösser und dann geht es los. Es ist jetzt stockdunkel, wir sind schwer bepackt. Hinten an meinem Rucksack ist das Zelt befestigt, vorne ein Schlafsack. Der Jugendliche trägt einen Schlafsack und zwei Isomatten am Rucksack sowie den Müllbeutel in der Hand. In meiner Hand trage ich noch den Beutel mit den restlichen Lebensmitteln.

Wir wählen den Schonunger Pfad, den wir so mühsam nach dem Einkaufen bergauf gingen. Die Taschenlampe hilft uns, denn der Weg ist nicht gerade der beste am Anfang. Wir sind wahnsinnig schnell unten und auch Schonungen erreichen wir deutlich schneller als vermutet.

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Auch tagsüber lässt sich der Schonunger Pfad nicht so einfach erkennen

 

Doch dann zieht sich der Weg. Da wir den Fahrradweg nach Schweinfurt bzw die Abzweigung dahin irgendwie verpassen, müssen wir an der Hauptstraße entlang. Die meiste Zeit gibt es dort einen Bürgersteig, doch dann endet der.

Im Dunklen vollbepackt an der Straße entlang, und das auch noch auf der „falschen“ Seite. Auf der richtigen sind Leitplanken befestigt, so dass wir dort wenn ein Auto kommt keine Ausweichmöglichkeit haben. „Nun, was ist schon die falsche oder richtige Seite, ich war in Indien, da stehen die Kühe mitten auf der Straße und Menschen laufen über eine Autobahn“ denke ich mir.

Also laufen wir und immer wenn ein Auto kommt (die Scheinwerfer kündigen das ja frühzeitig an) machen wir einen Schritt nach rechts und lassen die Autos passieren, während wir über Pflastersteine stolpern, die eine Art Rinne neben der Fahrbahn bilden.

Bei jedem vorbeikommenden Auto halten wir den Daumen raus. Doch kein Fahrzeug hält an. Also laufen wir durch Schonungen durch, weiter Richtung Schweinfurt. Wir kommen in Mainberg an und dort haben wir ein paar Meter Bürgersteig.

Eigentlich haben wir schon aufgegeben eine Fahrgelegenheit zu finden, nur ab und an heben wir noch den Arm, mehr aus Spaß als in ernsthafter Suche. Und dann hält plötzlich ein Fahrzeug an. Der junge Mann sagt, er nimmt uns nach Schweinfurt mit. Unser Gepäck verstauen wir zwischen Kindersitz und Bierkasten und als wir dann die Straße sehen sind wir froh.

Nicht nur dass es echt noch weit gewesen wäre sondern auch ohne eine vernünftige Möglichkeit zu gehen. Ausweichen auch kaum möglich, auf der einen Straßenseite Leitplanke (und dahinter direkt Bahngleise) und auf der anderen Straßenseite Mauer. Wir wären gegangen, wenn es nötig gewesen wäre, doch wir hatten Glück.

Unser Fahrer ist so lieb, uns direkt am Bahnhof in Schweinfurt abzusetzen. Das ist das Genialste, was uns passieren konnte. Es ist 20.56 Uhr, als wir aus dem Auto steigen, drei Minuten später springen wir (der Automat für den Fahrschein war gerade noch schnell genug) in den Regionalexpress, der uns eine gute Stunde später in Fürth wieder ausspuckt. Dann noch ein bisschen U-Bahn, die Leute begaffen uns, als wären wir von einem anderen Planeten ob unserer Gepäckmenge und -art. Von der U-Bahn ist es auch nicht weit.

Kennt ihr das Gefühl, wenn man kurz vor dem Ziel so gar keine Lust mehr hat und sich am liebsten einfach nur auf den Boden setzen würde, keinen Meter mehr bewegen?! So ging es mir gestern. Aber eisern hielt ich die letzten 200 Meter durch (chacka!).

Rein ins Haus. Warm! Dusche! Bett!

Geplant war eigentlich eine Rückkehr am nächsten Morgen, doch auf diese Weise war es sehr viel mehr Action und Abenteuer, sehr viel spannender, sehr viel erlebnisreicher. Generell war dieses Wochenende definitiv eine Bereicherung, eine positive Erfahrung und das Frieren wert. Wiederholung gerne, aber nur wenn es nicht zu krass wird mit den Temperaturen!

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