Im Atombunker in Hemsö

30. Dezember 2014
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In Schweden sind wir privat untergebracht bei alten Freunden. Nein, sie sind nicht alt, aber sie sind schon seit einer ganzen Weile Freunde. Bereits vor fünf Jahren war ich hier zu Besuch, allerdings im Sommer. Vieles ist geblieben und Einiges hat sich verändert. Beispielsweise sind die Kinder längst keine Kinder mehr. Die Tochter des Hauses hat einen Sommerjob, der uns unerwartete Einblicke in das schwedische Militär und die Geschichte gibt. Sie leitet Führungen durch einen Atombunker, der bis 1989 als Station des schwedischen Militärs aktiv war. Heute bekommen wir eine Führung dort, privat.

Zunächst fahren wir durch eine wunderschöne verschneite Gegend, bis wir an einer Fähre ankommen, mit der wir den nördlichen Arm des Angermanälven passieren und so auf die Insel Hemsö gelangen. Einen anderen Weg auf die Insel gibt es nicht. Wenn also auf der Insel etwas passieren sollte, sieht man ganz schön alt aus, egal ob man dort zu Besuch ist oder dort wohnt. Die Insel hat ungefähr fünfzig Einwohner und keinerlei Geschäfte.

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heller wird es nicht …

Auf der Insel gibt es Schwedens größte Elch pro Quadratmeter Population, erklärt uns Kristina. Kurz danach öffnen wir die Autotüre einmal, um die großen Spuren im Schnee zu begutachten. Es sind definitiv Elchspuren, so groß wie sie sind. Auch andere Spuren finden wir, doch wir würden gerne einen Elch sehen, nur hätten wir ihn ungern auf der Straße stehen.

Zunächst wollen wir einen Überblick bekommen und gehen ganz nach oben, dort wo die Kanonen stehen. Die kleinen Luftabwehrraketen können wir jetzt im Winter nicht sehen, sie sind abgedeckt. Das große Doppelgeschütz ist deutlich zu sehen, doch zunächst gehen wir noch ein paar Meter weiter. Kristina will uns etwas zur Geografie erklären und plötzlich ruft sie „Da, Elche!“ und deutet in eine Richtung. Wir entdecken sie sofort. Es sind drei Tiere, die am Hang gegenüber bergauf laufen. Einer rutscht dabei aus und fällt hin, ein lustiger Anblick. Wir haben auch versucht, die Elche zu fotografieren, doch viel mehr als ein dunkler Punkt ist das nicht geworden, kaum zu unterscheiden von den dunklen Punkten der Bäume. Immerhin sind wir nun schon mal glücklich. Der Elch wird abgehakt auf der To-Do-Liste der Tiere, die man in freier Wildbahn sehen will.

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Nach einem kurzen geografischen Briefing widmen wir uns der Kanone. Es handelt sich um die Abwehr von Schiffen. Ein Test um Männlichkeit zu beweisen war zu Zeiten des Militärs, die Munition der Rakete oben an der Spitze zu packen und so bis über den Kopf zu heben und wieder hinzustellen. Ich versuche das, bekomme es aber nicht mal einen Zentimeter in die Höher. Kippen ist möglich, hochheben nicht. Zumindest nicht ohne darunter zu fassen.

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Wir können auch in die Kanone hinein, die optimale Körpergröße hier ist die eines Zwergs. Auch kaum zu glauben, dass hier insgesamt 25 Menschen an der Kanone gearbeitet haben, acht davon auf dem oberen Deck, das wir zu dritt schon recht gut füllen. Und dabei haben sie noch die Rohre beladen und standen nicht nur in der Gegend rum.

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Im Bunker selber sehen wir alles. Vom Kiosk bis zum Schlafsaal, von der Küche bis zu Krankenhaus, auch die Gerätschaften und die Ausrüstung können wir begutachten. Und an jedem Punkt bekommen wir umfassende Informationen und können unsere Fragen stellen. Und das Beste: Niemand läuft uns ins Bild, wir müssen auf Niemanden warten oder Niemand muss auf uns warten, Niemand stellt blöde Fragen zu Dingen, die schon ausführlich erklärt wurden. So eine Privatführung ist ein Traum! Kristina erzählt, dass sie die Führung im Sommer fast täglich 3-4 mal macht. Ihr müssen die Sätze mittlerweile zu den Ohren raushängen, doch sie tut das trotzdem für uns. Auch hier nochmal ein großer Dank dafür!

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Offen bleibt die Frage, warum Jemand einen Atombunker baut. Wenn eine Atombombe detoniert, dann ist durch die Druckwelle alles zerstört. Das kann man in so einem Bunker natürlich überleben. Aber meiner Meinung nach möchte man danach nicht an die Oberfläche kommen. Die Strahlung dort ist so hoch, dass man dann später bitter an den Folgen verendet. Lieber würde ich von einer Detonation gleich entfernt werden, als Jahre später über einen längeren Zeitraum zu leiden und dann doch daran zu sterben. Im Bunker könnte man drei Monate überdauern, doch das reicht ja nicht, um die Strahlung wieder zu entfernen.

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Mit dem Mauerfall und dem Ende der Sowjetunion wurden die Anlagen hier nicht mehr militärisch genutzt, aber alles ist heute noch funktionsfähig, und so soll es auch erhalten bleiben. Zwischendurch war sogar der schwedische König hier stationiert, doch er wurde jede Nacht abtransportiert und in die Residenz in Härnösand gebracht. Es waren politisch harte Zeiten für das Königshaus, hinter dem Schweden heute scheinbar geschlossen steht, und für seine Sicherheit wurde so verfahren. Also ich wäre noch wütender gewesen als ich es vielleicht sowieso schon war, wenn der König mit mir Wehrdienst leistet und jede Nacht ein Nobelzimmer bekommt, während ich in einer stinkenden Sechserkammer hausen muss.

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Die Anlagen sind faszinierend, doch wir sind uns sicher, dass wir unseren Militärdienst nicht dort hätten ableisten können. Schon alleine dass man zu Beginn ungefähr drei Wochen unter Tage gefangen war, das wäre zu viel. Drei Wochen lang kein Sonnenlicht, ich würde eingehen!

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Nachdem wir alles gesehen haben -sogar den Kartoffelschälraum-, alles erklärt wurde und wir alle Fragen losgeworden sind und auch Antworten darauf bekamen ging es zurück. Wir hofften der Fotos wegen auf eine weitere Elchsichtung, hatten aber kein Glück.

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