Bamberg – Hallerndorf
Etappe 1
Am Vorabend ist alles gepackt. Ich finde mein Ladekabel für den Ipod nicht und verzweifle daran beinahe, bis eine Freundin so lieb ist und mir ihr Ladekabel vom Iphone vorbei bringt, das geht auch. Also lade ich das gute Teil noch und lege mich schlafen. Der Camcorder ist auch geladen, alles bereit für den morgigen Tag.
Am Morgen klingelt mein Wecker, ich bin aber wie fast immer schon ein paar Minuten vorher wach (egal um welche Zeit der klingelt, ich weiß auch nicht, wie ich das immer mache) und nutze die letzten Minuten zum intensiven Katerkuscheln. Als die Weckermelodie dann ertönt mache ich mich fertig.
Dann bin ich kurz vor der Bushaltestelle und drehe nochmal um. Irgendwas reibt in meinem Schuh, und das erinnert mich daran, dass ich meine Apotheke vergessen habe, inklusive Ibuprofen und Blasenpflaster. Das muss rein. Und dann nehme ich spontan doch noch Laufschuhe mit, obwohl ich sie eigentlich schon ausgepackt hatte. Dann erwische ich mit etwas Rennen gerade so den Bus und mit zügigem Schritt den Zug.
Der Zug ist absolut voll, kaum zu glauben wie viele Menschen in Trachten früh am Morgen (8.42 Uhr) auf dem Weg zur Erlanger Bergkirchweih sind. Ab Erlangen geht es dann leerer zu. Stört mich alles nicht mehr, Ipod ins Ohr und Augen zu. Ich verschlafe Bamberg nicht (knapp) und mache mich dann auf den Weg durch die Stadt.
Eigentlich alles ganz easy, denke ich. Doch relativ schnell erkenne ich, dass die Karte die ich habe wahnsinnig ungenau ist, besonders innerorts. Ich bemühe also doch mein Handy, das zuvor im Offline-Modus war. Ich wollte schließlich abschalten. Mit GPS ist es dann ganz easy, mich an den Bamberger Ortsrand zu navigieren, auch wenn ich das Gefühl habe, Bamberg mag gar nicht enden, und Bamberg gibts nur in bergauf. Irgendwann ist dann auch der Bruderwald angeschrieben und dann kann ich das Handy wieder in die Tasche stecken.
Noch höre ich Musik. Der Ipod steht auf Zufallsmodus, doch ich habe das Gefühl, dass die Auswahl sehr passend ist. Bisher ist lauftechnisch alles problemlos, und das in Bamberg noch anhaltende Unlustgefühl verzieht sich schlagartig, als ich den Wald betrete. Schon vorher freue ich mich auf das Ende von Bamberg und noch mehr auf den für mich „richtigen“ Beginn des Weges. In dem Moment, in dem ich den Wald betrete nehme ich die Kopfhörer aus dem Ohr. Jetzt bin nur noch ich da. Keine anderen Einflüsse mehr. Keine Musik, kein Handy, nichts.
Ich laufe und laufe erst mal falsch. Als es in den Wald geht verpasse ich wohl eine Abzweigung mit der Jakobsmuschel. Zunächst sind noch einige Radler und Walker da, deren klack klack klack wirklich nervig ist, wenn man einfach nur noch in Ruhe und Frieden sein will. Doch bald verschwinden auch diese Lebenszeichen anderer Menschen und ich beginne, intensiver zu filmen. Auf jeden Fall genieße ich den Wald, so lange bis ich in Bug (ein Bamberger Ortsteil) stehe und ein Schild mit „Höfen 2km“ finde, in die entgegen gesetzte Richtung. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Den ganzen Weg wieder bergauf, den ich grad munter nach unten gelaufen bin. Ich überlege, einen anderen Weg zu nehmen und erst später auf den Jakobsweg zu treffen, entscheide mich dann aber dagegen und mache kehrt. Dann eben das Stück wieder zurück. Vier Kilometer umsonst. Frage mich, ob es bei einer 27km langen Etappe auf die vier Kilometer auch nicht mehr ankommt oder ob genau diese vier Kilometer eben zu viel sein werden. Ich finde Höfen dann sehr schnell. Irgendwie drückt es an meiner rechten Ferse und ich mache an einer Bank halt und klebe vorsorglich ein Blasenpflaster. Ein Fehler wie sich später zeigt.
In Höfen lande ich direkt im Biergarten, der praktischerweise geöffnet hat. Ich möchte zwar weder im Garten sitzen noch ein Bier, aber ich nutze gerne die Toiletten und dann geht es sofort weiter. Hier im Ort ist die Beschilderung recht gut. So gut, dass auf dem geraden Stück nach der Kirche ohne jegliche Abzweigung gleich drei Jakobsweg-Aufkleber zu finden sind (an dieser Stelle merke ich zum ersten Mal, dass die Karte nicht stimmt, der Jakobsweg ist auf der falschen Seite der Kirche eingezeichnet). Der Weg führt dann mitten durch ein Gehöft, das ich unsicher durchquere, auch interessant. Es scheint allerdings nur noch als Unterstellmöglichkeit für diverse Traktoren genutzt zu werden und so finde ich weder Mensch noch Tier sondern direkt nach dem Haus, durch dessen Tor ich durch laufen muss eine Abzweigung. Ohne Weghinweis natürlich. Zwar handelt es sich bei der von mir nach Gefühl gewählten Richtung nur um eine Art breiten Trampelpfad -der andere Weg war fest angelegt- doch ich bin richtig.
Nach Höfen geht es dann mal wieder bergauf – ich frage mich, wieviel bergauf ich denn eigentlich heute gehen muss. Habe den Eindruck, es gibt nur bergauf und bergab fehlt irgendwie. Diesmal geht es jedenfalls über Matsch steil bergauf auf den Distelberg. Ein Mountainbike wünsche ich mir, um diesen genialen Waldweg gleich wieder runter zu brausen. Ich steige weiter bergan und frage mich, warum ich das eigentlich tu. Warum geht der Weg hier über den Berg anstatt außen rum. Nun, es ist der Jakobsweg. Der muss anstrengend sein. Man soll Buße tun, und je mehr man leidet, desto mehr glaubt man und fleht man und desto wahrscheinlicher ist es, dass man klein bei gibt und Sünden bekennt und Dinge zugibt. Ich bezwinge den Berg, und es ist wirklich ein Bezwingen, nachdem mich der Matsch des Weges mehrfach in die Knie zwingen will. Nicht mit mir, ich bleibe auf den Beinen (und bekenne mich trotzdem schuldig)!
Am Ende des Berges geht es gemächlich wieder nach unten, bis ich in Reundorf ankomme. Reundorf bietet mir nicht besonders viel, außer einer wirklich hübschen grüßenden Frau. Ich bin deutlich schneller wieder aus dem Ort draußen als ich drin war. Das Lächeln nach dem Gruß hielt fast bis zum Ortsende an.
Kaum bin ich draußen geht es wieder in den Wald. Das ist herrlich, überall um mich herum zwitschert es. Inzwischen ist der Weg bei jeder Gabelung wunderbar deutlich angeschrieben. Ich muss nicht mehr mit dem GPS eine Richtung abgleichen oder die Karte checken (und aus der ja auch nicht schlauer werden). Das verleiht Einiges an Sicherheit, und so komme ich auch wirklich schnell voran. Die Landschaft fliegt förmlich an mir vorbei und trotzdem genieße ich sie absolut. Es ist wunderschön! Irgendwann werde ich dann doch etwas müde und sehne mich nach einer Bank und Brotzeit, nach einer Pause. Der Wald gönnt mir das aber nicht. Es geht stattdessen wieder bergauf (wenn auch nicht so steil und nicht ganz so matschig wie am Distelberg). Die einzige Sitzgelegenheit ist ein absolut klappriger Hochsitz, dieses Angebot schlage ich dankend aus. Da geh ich lieber noch ein paar Meter.
Kurz nachdem ich aus dem Wald wieder raus bin, also relativ kurz vor Herrnsdorf, finde ich dann eine Bank. Dort lasse ich mich nieder und sehe zu. Zum Einen, wie der Wind das Gras in Wellen bewegt. Zum Anderen, wie mich Stechmücken beißen. Eigentlich wollte ich ja ein bisschen sitzen bleiben, doch mit all den summenden Viechern um mich rum, hielt ich es gar nicht so lange wie geplant aus. Zudem zog sich um mich herum immer mehr alles zusammen. Ich war in der Sonne, aber rund herum sah ich überall schwarze Wolken und hörte aus einer Richtung auch bereits Donner. Nun hatte ich aber noch Einiges an Weg vor mir, also los!
Kurz nach meiner Bank finde ich einen Camino-Wegweiser, der mich etwas verwirrt. Ich blicke dem Weg nach und denke mir, dass das nicht stimmen kann. Ich sehe schließlich bereits den Ort ein paar Meter vor mir, und da soll der Weg doch durch gehen, während der Wegweiser auf einen Feldweg in eine um 90 Grad andere Richtung zeigt. So entscheide ich mich gegen den Wegweiser und für Herrnsdorf. Selbst wenn der Camino eigentlich anders entlang geführt hätte, da ich zwischen Herrnsdorf und Schnaid auf Grund des immer mehr zuziehenden Wetters ein paar Meter (schätze mal so ca 700 Meter) abkürzen wollte, wählte ich sowieso einen Weg an der Hauptstraße entlang.
Als ich in Schnaid ankomme, läuft mir eine Frau entgegen, die mich strahlend grüßt. An der Wallfahrtskirche sitzt eine andere Frau und blättert in einem Buch. Ich setze mich auf die Bank daneben und wir kommen ins Gespräch. Ja, ich bin auch ein Jakobsgänger. Die grüßende Dame von Ortseingang gesellt sich dazu. Sie hat nur mal eben einen Spaziergang durch den Ort gemacht. Wie ich kommen die beiden aus Nürnberg und wollen heute auch bis Hallerndorf. Mein Endpunkt ist ja Willersdorf, aber das ist direkt daneben und gehört zu Hallerndorf. Gemeinsam gehen wir also weiter. Die beiden Damen sind zwischen 10 und 15 Jahren älter als ich – ich bin furchtbar schlecht im Schätzen. Auf dem Weg durch den Matsch auf dem hier nun wieder nicht so gut ausgezeichneten Jakobsweg erlebe ich mal wieder, wie klein die Welt ist. Eine der Damen und ich haben eine gemeinsame Bekannte, die uns beide über mehrere Jahre begleitet hat/begleitet. Wir sprechen über Arbeit und dann noch viel lieber über Urlaub und Indien und Skandinavien. Eine Abzweigung finden wir nur mit viel Glück, der Hinweis ist einige Meter weiter auf dem Weg und der Weg selbst relativ uneinsichtig. Wir kommen an einem Karpfenweiher vorbei, der per Schild als Tegernsee bezeichnet wird. Nein, so weit sind wir nicht gelaufen. Wir versichern uns bei den ansässigen Fischern, dass wir keinen Ortssprung vollzogen haben und gehen munter weiter.
Als wir auf dem freien Feld und geteertem Weg ankommen, ist der Himmel schon komplett zugezogen. Die Wolken bewegen sich mit einer wirklich rasanten Geschwindigkeit und es ist klar, dass das nicht mehr lange hält. In Schnaid angekommen wollen wir trotzdem in die Kirche, doch die hat geschlossen. Wir waren ein paar Minuten zu spät um sie noch zu sehen.
Dann begann das große Überlegen. Kommt jetzt nur ein Schauer runter, stellt man sich lieber unter, wann geht es los, hat man noch genug Zeit für die 3 bzw 4 Kilometer in den jeweiligen Zielort? Meiner Meinung nach würde es ordentlich und lang schütten. Es war überall um uns herum schwarz, Aufhellung nicht in Sicht. Also würde man eh nass werden, dann lieber sofort los. Um schneller um Ort zu sein, verließen wir alle drei den Jakobsweg und gingen an der jeweiligen Hauptstraße entlang. Hier in Schnaid trennten sich unsere Wege nämlich schon wieder. Als ich am Ortsausgangsschild war, kamen die ersten Tropfen. Es war windig und ziemlich frisch, ganz anders als die erste Hälfte des Tages. Ich hatte noch Hoffnung, es waren ja nur noch vier Kilometer. Doch die Hoffnung starb sehr schnell, als es wenige Meter später anfing so richtig zu schütten. Ein Wolkenbruch erster Klasse. Innerhalb kürzester Zeit war ich komplett nass bis auf die Haut, trotz Jacke (vielleicht hätte ich doch nochmal imprägnieren sollen oder die Segeljacke mitnehmen anstatt die Softshell). Auch meine Füße in den wasserdichten Schuhen waren nass, da das Wasser von meiner Hose über die Socken in Bächen in die Schuhe lief. Ich begann immer wieder zu joggen und merkte schon, dass das gar nicht gut ist. Schmerzhaft. Ich habe mir wohl Blasen an den Fersen gelaufen. Ein paar Autos kommen vorbei und ich strecke den Daumen raus, aber alle fahren weiter. Dann kommt mir in einer Kurve ein weißes Auto entgegen. Ich gehe einen Schritt von der Fahrbahn, wie immer, wenn ein Auto kommt. Natürlich lasse ich den Daumen drin, denn das Auto fährt in die falsche Richtung. Wenige Sekunden später hält (in die richtige Richtung und ohne Daumen raus) ein weißes Auto neben mir. Die Fahrerin, die mir eben noch entgegen gefahren war, hatte einfach umgedreht. „Bei dem Wetter kann man doch Keinen laufen lassen“ sagte sie, und fügte „soll ich Sie irgendwo hinbringen?“ hinzu. Dankend stieg ich ein und bezeichnete sie als Engel. Sie kam zwar gerade aus Willersdorf, aber bei dem Wetter könne sie unmöglich nachhause fahren, wenn sie wisse, dass da Jemand laufen müsse. In Willersdorf fährt sie mich sogar bis vor die Tür meines Gasthofs. So spare ich mir nicht nur wahnsinniges Frieren (mein Kopf ist schon wirklich kalt und die Beine auch) und weitere Kilometer im Regen sondern auch ungefähr die Distanz, die ich zu Beginn des Weges im Bruderwald umher geirrt bin.
Ich checke im Hotel ein und begebe mich auf mein Zimmer. Ich tropfe, ziehe sofort alles aus und begutachte erst mal meine Fersen.
Ich habe Blasen an beiden Fersen, und zwar unten am Fersenballen. Ich steige also bei jedem Schritt auf meine Blasen. Meine linke Ferse ist mit einer Blase von ca 1x2cm geschmückt. Die ist allerdings nicht besonders schmerzhaft. Viel schlimmer ist meine rechte Ferse. Ich kann die Haut meiner Ferse nahezu über den kompletten Fersenballen hin und her schieben auf Grund der darunter liegenden Blase. Das große Blasenpflaster reicht nicht aus, um die Blase abzudecken. Eigentlich würde ich sie auch gerne öffnen, damit das Pflaster ein schönes Polster bildet. Ich bekomme sie aber selbst mit der Schere aus meinem Verbandsset nicht auf und auch mit der Sicherheitsnadel wird das Loch nicht groß genug, damit mehr als ein Tropfen Flüssigkeit abfließen kann. Das Blasenpflaster klebe ich trotzdem – nach dem Duschen. Die Dusche tut wahnsinnig gut. Ich fühle mich sauber und erholt. Bis auf die Blasen habe ich keinerlei Schmerzen, die tun dafür umso mehr weh.
Erst mal lege ich mich dann ein bisschen ins Bett, kann aber nicht einschlafen. Nun gut, dann teste ich eben die Küche des Gasthofs. Dort werde ich wahnsinnig schnell und sehr freundlich bedient. Es gibt ein alkoholfreies Hefeweizen (das beste isotonische Getränk überhaupt) und einen Fitnesssalat mit Zanderfilet. Was genau an dem Salat jetzt Fitness war, kann ich nicht sagen. Lecker war er jedenfalls. Nach dem Essen fühle ich mich dann doch geplättet und begebe mich wieder in mein Zimmer, vielmehr ins Bett. Ich schreibe ein bisschen und freue mich, dass mein Plan funktioniert hat, mir den Kopf leer zu laufen. Nach einiger Zeit in Stille schalte ich den Fernseher ein und lasse mich noch ein wenig berieseln, bevor ich gegen Mitternacht das Licht lösche und den Off-Knopf drücke. Es regnet immer noch. Gute Nacht!