Genusswandern im Räuberland

7. Juli 2017
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Vor kurzem habe ich mein berufsbegleitendes Studium sehr erfolgreich beendet. Das klingt nach einem ganz lapidaren Satz, aber es steckt viel mehr dahinter. Wer berufsbegleitend studiert muss einen großen Teil seiner Freizeit opfern, schon alleine für die Präsenszeiten. Und dann ist da ja noch der ganze Lernaufwand. Noch eine Nummer härter ist es, wenn diese Person mit Schichtarbeit beschäftigt ist, noch dazu mit unregelmäßiger Schichtarbeit. Aber ich kann noch einen drauf setzen, nämlich wenn innerhalb dieser Schichtzeiten auch noch Bereitschaft anfällt, in der die geleistete Stundenzahl nur zu einem Viertel gewertet wird. So wird aus einer 8 Stunden langen Nacht ganz einfach mal ein 2stündiger Arbeitstag auf dem Papier. So ist es auch zu erklären, dass unsere 40-Stunden-Woche eben keine 40 Stunden beinhaltet sondern eher zwischen 60 und 80, nämlich real geleistete Stunden. Dann noch nebenbei zu studieren und jeden Donnerstag Abend sowie mindestens einen Samstag pro Monat zu opfern und in diesem Zeitraum rund 40% des Stoffs zu bearbeiten, die restlichen 60% in Heimarbeit machen zu müssen… das waren meine letzten zweieinhalb Jahre. Vermutlich kann Jeder nachempfinden, wie man sich nach einiger Zeit fühlt, wenn die erste Euphorie des „ich entwickle mich jetzt!“ verflogen ist. Jetzt ist es geschafft. Jetzt bin ich frei. Aber mein Kopf, der ist es noch nicht. Mein Kopf schwirrt noch, ich fühle mich nicht nach Energie. Schlau wie ich war, hab ich dann noch eine Städtereise dran gehängt anstatt zu entspannen.

Deswegen kam die letzte Woche für mich absolut passend! Fünf der sieben Wochentage habe ich wieder im Räuberland verbracht. Vor ein paar Tagen habe ich ja schon über das dort beheimatete Grünland-Projekt geschrieben, doch natürlich habe ich noch viel mehr erlebt.

Der erste Tag startete mit einer gemütlichen Anfahrt. Von Nürnberg aus geht es via Würzburg auf der A3 in Richtung Frankfurt, und diese Strecke ist normalerweise sehr staugeplagt. Gerade an einem Montag ging ich von LKW-Kolonnen aus, da diese ja am Sonntag still stehen müssen. Doch überraschenderweise war die Strecke extrem leer. Ich näherte mich also ungeplant früh und hatte daher noch Zeit für einen Abstecher in das Outlet-Village in Wertheim. Etwas über eine Stunde hatte ich Zeit zum Stöbern und viele nette Dinge in den Shops gefunden, jedoch nichts was ich wirklich gebraucht hätte. Als Shopping-Minimalist habe ich daher nicht zugeschlagen.

Kurz mal schlafen wäre natürlich auch noch eine Lösung, dachte ich mir. Auf dem Parkplatz im Auto. Doch das Einschlafen wollte nicht gelingen und so fuhr ich eben weiter. Ein paar Minuten zu früh checkte ich also in Heimbuchenthal im Hotel Christel ein, brachte meine Sachen aufs Zimmer und packte den Wanderrucksack. Viel musste bei einer Halbtagestour ja nicht dabei sein, lediglich Wasser war wichtig. Ich bekomme schnell Kopfschmerzen und trinke daher alle paar hundert Meter einen kleinen Schluck. Weil das mit Flaschen tierisch nervig ist, nutze ich eine Trinkblase mit Schlauch aus meinem Rucksack. Diese habe ich befüllt und gepackt und dann ging es los.

Nach dem Transport zum Ausgangspunkt setze ich meinen Rucksack auf und merke „alles nass“. Ich greife in den Rucksack und stelle fest, dass meine Kamera verschont geblieben ist und auch im Inneren des Rucksacks nichts nass geworden ist. So recht kann ich mir da nicht erklären, denn die Trinkblase ist leer und der Rucksack außen nass. Ich bekomme auf die Schnelle noch eine Flasche Wasser in die Hand gedrückt und dann geht es los.

Ziel ist das Haus Hohe Wart, wir starten in Volkersbrunn. Und wir starten mit einem Anstieg. Schon im letzten Jahr habe ich lernen müssen, dass auch so ein Mittelgebirge wie der Spessart ordentliche Anstiege hat. Und heute beginnen wir direkt damit. Der Anstieg ist jetzt nicht besonders steil, aber er zieht sich sehr lange, so dass es mir vorkommt, als würden wir schon Stunden bergauf gehen. Die letzten zweieinhalb Jahre und die krankheitsbedingte Schwächung meines Körpers machen sich bemerkbar. Relativ schnell hole ich die Flasche aus dem Rucksack, ich brauche Wasser! Relativ schnell merke ich auch, dass die Flasche zu schnell leer wird, ich muss mir das ja irgendwie einteilen. Zwischendurch machen wir einmal kurz einen Fotostop bei tollem Weitblick über den Odenwald und so langsam kommt auch der Blick für das Rundherum wieder. Zwar habe ich auf dem Weg echt geflucht -und meine Begleitung hat dies mit stoischer Ruhe über sich ergehen lassen-, aber im Prinzip war es genau richtig. Der anstrengende Part direkt zu Beginn, das hieß auch die innere Anspannung los werden. Wald bedeutet eigentlich abschalten für mich, aber die ersten Meter hat das nicht funktioniert. Erst am ersten Fotospot war ich in der Lage, auch mal innezuhalten und den Ausblick wirklich wahrzunehmen und zu genießen.

Passenderweise wurde die Strecke auch ungefähr dann flach, so dass ich anfangen konnte zu genießen. Plötzlich bemerkte ich wieder die vielen unterschiedlichen Arten von Grün, die ganz andere Luft, die Geräusche aus dem Wald. Glücklicherweise haben wir meinen Blick nach oben ins grün kombiniert mit dem Blick auf den Weg meiner Begleitung auf den Weg, denn sonst hätte ich die erste Blindschleiche meines Lebens direkt mit meinem Schritt getötet. So konnte sie unverletzt den Weg passieren und auf der anderen Seite wieder ins Grün verschwinden.

Ein Beispiel für die Beschilderung auf Sicht

Der Weg ist optimal auf Sicht ausgeschildert, so dass man durch die Schilder gar keine Chance zum Verlaufen hat. Alle paar Meter hängt ein Schild, und an jeder Abzweigung hängen die Schilder auch so, dass man keine Zweifel haben muss. So mancher Weg könnte sich hieran ein Beispiel nehmen. Man merkt eben, dass wir auf einem ausgezeichneten Qualitätswanderweg laufen. Die ganze Region ist durch den deutschen Wanderverband als Qualitätsregion ausgezeichnet worden. Dabei sind viele Bedingungen zu erfüllen, beispielsweise ein hoher Prozentsatz an Wegen auf natürlichem Boden (und dementsprechend wenig große Schotterpisten) und auch eine lückenlose Beschilderung.

Das Hohe Wart Haus ist ein Biergarten mitten im Wald, an dem auch selbst gebraut wird. Regionale Köstlichkeiten werden hier angeboten, außer montags. Und wir hatten Montag! Ich konnte mich hier vor zwei Jahren durch die Brotzeiten probieren, was sogar eine nachhaltige Veränderung des Inhalts meines Kühlschranks zur Folge hatte, dementsprechend war es spitze. Wahrscheinlich ist es auch gut, dass wir hier heute keine Brotzeit einnehmen, denn am Abend soll es ja Forelle geben.

Für den Start also eine kleine Wanderung, die es erst mal in sich hatte. Aber vor dem Essen war noch genug Zeit zum Regenerieren, zum Kneippen im hoteleigenen Kneippbecken und zu ausgiebiger Dusche. So komme ich doch recht erfrischt zum Abendessen, und auch das ist ein Genuss. Es gibt Forelle im Hotel Christel, in dem ich auch untergebracht bin. Und das ist hier ein Traum! Die Forelle gibt es hier in Mandelbutter, was eine extrem leckere Variante ist. Dazu werden Kartoffeln und Salat gereicht, schön schlicht und ein Genuss.

Am nächsten Morgen geht es auf die Qualitätstour „Natur trifft Geschichte“ mit Start in Rothenbuch. Auch heute geht es erst ein wenig bergauf, doch es lohnt sich! Von oben hat man wunderbare Ausblicke in mehrere Richtungen und genießt dann die doch deutlich kühlere Luft im Wald. Der Eingangspunkt in den Wald heißt Kniebrech und ist hoffentlich kein Omen denken wir, doch alles läuft glatt.

Der Weg führt zuerst auf dem Spessartweg 1 (wieder ein Qualitätswanderweg) bis zum Niklaskreuz, auf dem wir die Inschriften entziffern, die in alter Schrift geschrieben sind. Von Niklaskreuz an geht es nur noch bergab. Links und rechts im Wald finden sich haufenweise frische Wildschweinspuren, doch Tiere selbst entdecken wir nicht.

Der Weg ist abwechslungsreich, erst durch den Wald, dann durch ein Tal, an einem kleinen Waldsee vorbei. Der Weg verläuft teilweise auf Schotter, doch auch einige Kilometer auf Waldboden. Schon auf dem Weg spüre ich, dass ich sowohl das Laufen an sich als auch die Natur um mich herum absolut genieße. Die zwei Wanderer auf dem Foto am Bomigsee im Wald sind die einzigen zwei Menschen, die uns begegnen. Und sie sind so vertieft in den Weg, dass sie uns gar nicht registrieren oder zumindest nicht auf uns reagieren. Aber auch wir gehen weiter als hätte es sie nicht gegeben. Den ganzen Tag alleine in der Natur, ein Traum! Das liegt hauptsächlich am ausgedehnten Wegenetz. Alleine das Räuberland hat ungefähr 600 Kilometer Wanderwege. An den Wochenenden ist etwas mehr los, aber auch da kann man lange wandern ohne einer Menschenseele zu begegnen. Das erhöht den Genuss und macht Tierbeobachtungen einfacher.

Wir gehen nicht den ganzen Weg sondern beenden unsere Tour in Lichtenau, so dass wir das Highlight des Weges zum Schluss haben. Über einen Steg geht es durch das traumhaft schöne Hafenlohrtal, ein sumpfiges Naturschutzgebiet. Zwar war es vorher schon sehr ursprünglich im Wald, doch das Tal ist noch mal eine Spur idyllischer. Ich erinnere mich an den Weg, denn diesen sind wir auch bei den 24 Stunden von Bayern gegangen. Aber heute wirkt er doch ganz anders, schon alleine weil er absolut leer ist und weil wir heute gutes Wetter haben.

Im Gasthof Hochspessart in Lichtenau traue ich mich dann an die Wildschweinbratwurst und stelle fest, dass sie richtig lecker ist. Endlich eine Bratwurst, die mir auch schmeckt! Ich widerstehe dem Nachtisch trotz Genussreise, denn ich will ja nicht alles umsonst gelaufen sein. Es ist für mich sowieso schon ungewöhnlich, mehrere große Mahlzeiten an einem Tag zu mir zu nehmen. Aber nach so einer Wanderung tut eine Stärkung auch gut.

Nach einer Pause im Hotel mit Erfrischung geht es weiter zum Grünland-Projekt von Naturführer Ernst Bilz. Über dieses ganz starke Projekt habe ich einen eigenen Artikel geschrieben. Ein Besuch am Projekt lohnt sich auf jeden Fall, und wer dort ist kann auch gleich noch ein paar Meter dran hängen und die Elsava-Quelle besuchen.

Am Abend geht es dann zum Grillfest im Hotel Lamm in Heimbuchenthal. Der Salat als Vorspeise und das Dessert werden serviert, den Hauptgang gibt es am Buffet. Das Buffet ist ganz stark und richtig vielfältig, und ich bin echt traurig, dass ich viel weniger schaffe als ich gerne würde. Für mich gibt es Lamm vom Grill, schön zart. Eigentlich wollte ich noch viel mehr probieren, aber leider bleibt es bei diesem einen Gang zum Buffet.

  

In Heimbuchental liegt auch die kleine Touristeninformation mit haufenweise Informationsmaterial und vor Allem: mit einem Testcenter, bei dem man kostenlos unterschiedliche Wanderutensilien ausprobieren kann. Nötig ist hierfür einfach nur ein Personalausweis. Rucksäcke, Schuhe, Jacken, Wanderstöcke, Kindertragen, Ferngläser – es gibt alles was das Herz begehren könnte. Auch eine sehr detaillierte Wanderkarte gibt es hier gegen kleines Geld. Generell sind aber einige der Touren auch auf Outdooractive abrufbar, und es werden nach und nach mehr Wanderungen eingepflegt. Auf der Website des Touristikverbands Spessart-Mainland findet man ein eigenes Tourenportal mit schönen technischen Spielereien wie einem Vogelflug über die geplante Strecke, so dass man im Vorfeld schon gut recherchieren kann. Von unterwegs mit dem Smartphone aus ist Outdooractive allerdings die einfachere und greifbarere Variante.

Der dritte Tag bringt mich an den historischen Echterspfahl, an dem früher der Sage nach die drei Brüder aus der Familie Echter ihre Pferde angebunden haben. Dort starten wir die letzte Tour. Es geht nur flach oder bergab und der Weg ist heute besonders abwechslungsreich, ursprünglich natürlich, einfach traumhaft schön! Gestern war ich schon absolut begeistert, aber heute fühle ich mich nochmal ganz anders. Als wäre ich ein Teil der Natur, als gehörte ich genau dorthin. Oder als sei der Weg nur für mich da. Innerhalb von vier Wanderungen und insgesamt demnach ja nur wenigen Stunden in der Natur ist es also gelungen, dass ich mich sehr entspannt fühle und wieder wirklich in mich aufnehmen kann. Ich fühle mich nicht mehr überfrachtet und genieße jeden Meter des Weges.

Da wir viel zu schnell unterwegs sind, beschließen wir kurz vor Heimbuchenthal nochmal aufzusteigen in Richtung Schloss Mespelbrunn. Zwar wird es dann nochmal kurz anstrengend, aber das geht heute auch schon viel besser als am ersten Tag und es lohnt sich schon alleine für die Aussicht, aber auch für die Kapelle am Schloss. Das Schloss selbst lassen wir heute aus, ich kenne es bereits und plane es auch für den Familienausflug am Wochenende. Drei Mal muss dann doch nicht sein.

Zum Abschluss gibt es ein Eis und dann fahre ich wieder nachhause und habe eine ganze Menge Eindrücke im Kopf, vor Allem aber ist ganz viel Stress und Last von mir abgefallen. Die Zeit in der Natur nahm mir ganz viel von den Schultern und gleichzeitig waren diese Tage für mich der Grundstein für eine Rückkehr in ein sportliches und aktives Leben, was während des Studiums auch nur schwer möglich war.

 

Am direkt darauffolgenden Wochenende durfte ich diese Natur erneut erleben. Ein Zufall hat das so ergeben. Für meine Eltern gab es zu Weihnachten eine Box voll Zeit, jeden Monat eine gemeinsame Aktion. Für den Mai war eben ein Wochenende im Räuberland geplant, und erst danach erfuhr ich von der Einladung mit der Möglichkeit, die Qualitätswege geführt zu erwandern. Das wiederum war sehr praktisch, da ich jetzt ein paar optimale Wege kannte. Und so kam es dazu, dass ich am Samstag exakt die gleiche Wanderung unternahm wie am Dienstag, nämlich von Rothenbuch aus nach Lichtenau. Erst hoch zum Kniebrech, dann durch den Wald, zum Niklaskreuz und ab dort bergab bis zum Hafenlohrtal. Dieses Mal lag der Geruch von Schwarzwild extrem in der Luft, doch auch heute sehen wir nichts. Je länger ich hier unterwegs bin, desto schärfer werden meine Sinne und ich bemerke eine Veränderung im Geruch und wir finden sehr frische Spuren von Rotwild, doch auch hier haben wir kein Glück und sichten kein Tier. Im Bomigsee ändert sich das, dort schwimmt eine Ringelnatter durch den See und verlässt nur wenige Schritte von uns entfernt das Wasser. Natürlich bemerkt sie, dass wir uns für Fotos nähern und sie ringelt sich erst ein und schwimmt dann doch lieber wieder davon, obwohl wir auf Abstand bleiben. Auch in der Luft haben wir später noch Glück und sehen zusätzlich zu diversen Bussarden auch den Rotmilan fliegen.

Im Anschluss an die Wanderung gibt es eine Runde Action-Minigolf in Heimbuchenthal. Carina und ich konnten uns im Vergleich zu unserem Versuch im Vorjahr deutlich steigern und auch die Eltern hatten Spaß. Mit knappem Vorsprung konnte ich die Runde für mich entscheiden.

Etwas trübte die Freude am Wochenende jedoch. Im Gasthof Hochspessart – wo ich unter der Woche noch Wildschwein genoss – warteten wir beinahe eine Stunde auf eine kalte Platte und wurden vor Allem mit billigen Ausreden abgespeist anstatt dass eine Entschuldigung kam. Wir entschieden dann, auf die Platte zu verzichten und ohne Mittagessen weiter zu ziehen. Am Abend hatten wir dann leider ziemlich Pech mit unserer Forelle, denn obwohl wir sie bereits am Nachmittag vorbestellt hatten, mussten wir noch über eine Stunde warten, obwohl das Restaurant nicht voll war. Das war insbesondere deswegen blöd, weil wir schon mittags nicht erfolgreich waren. Am Abend war immerhin die Bedienung souveräner und es gab ein Entgegenkommen im Preis auf Grund der langen Wartezeit, so dass wir dann trotzdem zufrieden waren.

Am Sonntag stand dann bei bestem Wetter ein Besuch im Schloss Mespelbrunn an und auch heute passierten wir die dazugehörige Kapelle. Mit bodenständiger italienischer Küche (vielleicht ein Geheimtipp? Ristorante Mia in Mespelbrunn) beendeten wir den Trip und machten uns wieder auf den Heimweg.

Zur Pressereise wurde ich vom Touristikverband Räuberland eingeladen, vielen Dank dafür! Alle geführten Wanderungen wurden über den Touristikverband organisiert und zumeist auch von einer Mitarbeiterin des Touristikverbands begleitet. Dass ich von der Region begeistert bin hängt aber nicht mit der Einladung zusammen sondern mit den vielfältigen Wandermöglichkeiten unter optimalen Bedingungen. Nicht umsonst fahre ich auch „privat“ hierher.

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