Am Vorabend nach der Etappe von Hallerndorf nach Effeltrich war ich ziemlich platt, auch nach der Badewanne taten mir ein wenig die Muskeln und ziemlich die Gelenke weh. Wie ich heute laufen sollte, konnte ich mir gar nicht vorstellen. Doch am Morgen hatte ich vor Allem eines: Lust auf die nächste Etappe. Ich war zwar noch etwas müde, aber das würde schon gehen. Also packte ich Proviant und machte mich auf den Weg zum Nürnberger Bahnhof. Mit dem Zug fuhr ich nach Baiersdorf und dort hatte ich fünf Minuten Zeit zum Umsteigen in den Bus. Leider hatte der Zug technische Probleme, so dass wir pünktlich zur Busabfahrt in Baiersdorf ankamen. Ich rannte also los und hatte dann die Wahl links oder rechts. Da auf der linken Seite eine Art Bahnhofsgebäude stand, entschied ich mich für die linke Seite. Und war prompt falsch. Zwar gibt es auch auf dieser Seite eine Bushaltestelle, doch mein Bus fuhr auf der anderen Seite. Ich sah ihn noch wegfahren, aber ohne mich. Mit Bahnhofsbeschilderung wäre das nicht passiert, aber so musste ich eben eine Weile auf den nächsten Bus warten. Nach einem netten Plausch mit dem Busfahrer stieg ich in Effeltrich wieder aus und hatte sofort ein Grinsen im Gesicht. Bis hierher hatte ich es also gestern geschafft und heute soll es hier weiter gehen. Also los!
Ich startete an der Kirche in Effeltrich, die früher einmal der Ortsverteidigung gedient hatte. Es entstand damals eine Art Wehrkirche. Die Kirche und der Friedhof ist von einer hohen Mauern mit Türmen umgeben, was in der damaligen Zeit gar nicht so selten war. Gegenüber der Kirche steht ein weiterer markanter Punkt in Effeltrich, nämlich eine Linde. Diese Linde ist nicht einfach irgendein Baum, denn es handelt sich um eine mindestens 800 Jahre alte Linde, die über enorme Ausmaße verfügt.
Von der Linde aus ging es eine Weile noch durch den Ort und dann bergauf an einer Baumschule vorbei auf einen Höhenweg. Der Weg an sich ist relativ langweilig, das Beste an der Höhe ist, dass man einen weiten Ausblick hat, und das in alle Richtungen. Bis auf eine Joggerin war der Weg menschenleer, und so konnte ich bereits zu Etappenbeginn einfach wieder entspannt laufen und den Kopf frei bekommen. Dieses Stück soll ja ähnlich sein wie so manche Kilometer des Camino Frances, den ich auch noch laufen werde, wenn ich auch noch nicht genau weiß, wann und wie ich das anstellen soll/kann/darf. So kann ich mich also schon mal dran gewöhnen.
Während ich laufe beginnt sich auch das Wetter aufzuklaren und ab und an kommt die Sonne durch. Ab sofort laufe ich daher mit Baseballcap, da ich gestern mit meiner Mütze doch deutlich zu viel Sonne im Gesicht abbekommen habe. Nach einer Weile erreiche ich Hetzles.
In meinem Jakobswegführer wird Hetzles als Oase beschrieben und als toller Ort. Ich habe einen etwas anderen Eindruck, als ich durch den Ort gehe. Es gibt durchaus einige schöne Anblicke im Ort, beispielsweise die vielen geschmückten Osterbrunnnen. Doch hauptsächlich sehe ich gestorbene Höfe und verfallene Gebäude. Selbst die noch bewohnten Häuser sind nicht unbedingt in einem vertrauenserweckenden Zustand. Ein paar Höfe sehen richtig gut aus, sie scheinen den richtigen wirtschaftlichen Ansatz gehabt zu haben. Kurz vor dem Ortsausgang finde ich dann etwas sehr untypisches für diese Gegend oder überhaupt für Deutschland, nämlich einen Bauernhof mit Straußengehege.
Ich verlasse Hetzles wieder und so langsam ist mir nach einer kleinen Pause. Der Weg führt schön am Bach entlang, doch es gibt keine Gelegenheit zur Rast. Ich muss also weiter gehen. Mein nächster Ort ist Baad, eine kleine Häuseransammlung. Freundlicherweise hat Baad eine Bushaltestelle mit Häuschen, und dort mache ich dann eine kleine Mittagspause.
Bisher läuft alles wunderbar und über die Beschilderung kann ich mich heute nicht beklagen. In Effeltrich selbst war sie mehr als deutlich, oft mit mehreren Aufklebern gekennzeichnet. Und dann komme ich in Neunkirchen an. Auch hier geht es schön am kleinen Fluss entlang, der Wegweiser schickt mich geradeaus. Und dann geht es geradeaus nicht mehr weiter, leider sagt er mir aber nicht, ob ich rechts oder links wählen soll. In der Wanderkarte ist dies leider auch nicht sichtbar. Ich laufe also nach links und scheine mich mal wieder falsch entschieden zu haben, denn Wegweiser finde ich erst mal nicht mehr. Ich durchquere den Ort also auf eigene Faust und am Busbahnhof finde ich dann wieder einen Wegweiser. Leider aber einen, der in eine völlig falsche Richtung zeigt. Das Ganze kommt mir komisch vor und ich kontrolliere die Sache mit Google Maps. Ich weiß ja, dass ich nach Dormitz muss und der Weg geht in eine völlig andere Richtung. Ich entscheide mich für den Fußweg nach Dormitz und gegen die angezeigte Richtung und siehe da, einige Meter später finde ich wieder korrekte Zeichen, ich habe also meinen Weg wieder gefunden.
Am Ortsausgang von Neunkirchen mache ich dann gleich noch eine Pause. Diese fehlenden Markierungen zehren wirklich an den Nerven und am Willen. Ich finde immer irgendwie meinen weiteren Weg, aber besser und angenehmer wäre es natürlich, wenn ich dafür nicht immer Umwege gehen müsste oder rätseln müsste und stehen bleiben und überprüfen. Daher brauche ich also eine Pause. Wieder geht es über einen kleinen Höhenzug und dementsprechend windig ist es hier dann auch. Für kurze Zeit wickle ich mir sogar meinen Pali um.
Ungefähr zwischen Neunkirchen und Dormitz wird der Weg dann immer in beide Richtungen markiert. Man kann den Jakobsweg hier also auch in die umgekehrte Richtung laufen. Viel lustiger ist aber, dass sich die Markierer oft nicht entscheiden konnten, wie sie die Markierung nun kleben. An manchen Stellen hatte ich die Wahl zu klettern oder weiter zu laufen. Hier würde ein Aufkleber absolut genügen. Ich komme auf den Gedanken, den Weg vielleicht nochmals zu laufen und dabei einen ganzen Packen Markierungen im Gepäck zu haben und an allen fehlenden Stellen anzubringen. Ich denke noch darüber nach.
Von Neunkirchen aus ist Dormitz schnell erreicht. Der Weg führt genau auf die Dorfkirche zu und dann durch den Ortskern. Dormitz wirkt auf mich erstaunlich idyllisch, und das obwohl es so nah an der Stadt ist. Je weiter ich das Zentrum verlasse, desto größer und luxuriöser werden die Häuser. Bei einem finde ich im Garten einen Naturpool, und diese Idee gefällt mir wirklich. Auf den ersten Blick sieht das Ganze aus wie ein großer Teich, erst beim zweiten Hinsehen fiel mir auf, dass es innerhalb des Teichs auch eine Wände gibt und eine Leiter für den Ein- und Ausstieg.
Am Sportplatz verlasse ich den Ort und komme in einen Ausläufer des Sebalder Forsts, der bereits zu Nürnberg gehört. Im Wald ist es herrlich kühl. Die Wege sind breite Forstwege, und das ein oder andere Mal begegne ich einem Auto, was mir nicht besonders gefällt. Ich passiere einen Reitplatz und dort sind auch gerade zwei Reiter unterwegs. Ein Campingplatz, eine Gaststätte, wo bin ich hier eigentlich? Ich bin doch mitten im Wald? Nun wunderten mich natürlich auch die Autos nicht mehr. Eigentlich wäre es Zeit für eine letzte Pause gewesen, doch hier so unter Leuten Pause zu machen wollte ich nicht. Also ging ich weiter, tiefer in den Wald. Pause mache ich dann am Bannwalddenkmal. Alleine.
Den großen Weg musste man hier verlassen, der Jakobsweg führte nun über kleinere Wege und Trampelpfade. Das war vor Allem deswegen interessant, weil Sturmtief Niklas so seine Spuren hinterlassen hatte. Schon am Vortag sah ich einige Sturmschäden, doch heute wurde das deutlich übertroffen. Einen quer liegenden Baum überkletterte ich einfach. Der nächste hatte von meiner Brücke glücklicherweise nur das Geländer eingerissen und ich konnte die Brücke überqueren und am Brückenende kletterte ich auch über diesen Baum, um meine Richtung halten zu können. Ich hörte Sägearbeiten, doch die Geräusche kamen immer aus etwas Entfernung, so dass ich keine Angst hatte, plötzlich unter einem gefällten Baum zu stehen. Wenn man allerdings um sich rum einige aus dem Boden gerissene schräg stehende Bäume sieht, die nur von einem Ast eines anderen Baumes noch gehalten werden, dann macht man sich schon den einen oder anderen Gedanken.
Ich kam aber gut durch und der Weg machte mir Spaß! Deutlich mehr als einige der bisherigen Kilometer. Doch plötzlich war der Wald zu Ende und vor mir nur noch freies Feld. Das war fast schade, den Wald hätte ich gerne noch etwas genossen. Doch das Positive am freien Feld war auch der Blick auf meinen Zielort Kalchreuth. Bis dorthin waren es nur noch ein paar Meter bergauf. Das sorgte irgendwie dafür, dass aus meiner normalen Schrittgeschwindigkeit ein seltsames Schleichen wurde, das ich mir selbst nicht erklären konnte. Immer wieder trieb ich mich an, denn das langsame Gehen war mindestens genauso anstrengend wie normales Gehen, wenn nicht sogar noch schlimmer. Doch es fiel mir wirklich schwer, normalen Schrittes weiter zu gehen.
In Kalchreuth selbst waren es dann nur noch wenige Meter auf der Straße bergauf, die ich zurücklegen musste. Hier wollte Carina mich abholen. Die Arme hat zur Zeit aber anscheinend ziemlich Pech mit dem Straßenverkehr und so stand sie eine ganze Weile im Stau. Für mich hieß das Warten. Ich bot ihr an, mit dem Zug nachhause zu fahren, damit sie zurück kehren konnte, doch das wollte sie nicht. Also wartete ich auf sie und entspannte auf einer Streugut-Tonne an der Straße.
Trotz der zweiten Etappe in den Beinen und nur vier Kilometer weniger als am Vortag war ich körperlich deutlich entspannter. Ich konnte noch stehen und gehen, was mir am Abend zuvor ja wirklich schwer gefallen war. So schnell gewöhnt man sich also an körperliche Belastung. Während ich gestern Abend noch gar nicht wusste, wie ich eine zweite Etappe überhaupt schaffen soll, war mir heute klar, dass die dritte Etappe morgen kein Problem darstellen wird und ich hatte bereits Vorfreude darauf.
Irgendwann hatte Carina den Weg auch geschafft und war erfreut, mich heute nur halb so platt zu sehen wie gestern. Zuhause angekommen ging es für mich zuerst in die Badewanne, denn die hatte mir gestern sehr gut getan. Und auf diese Weise konnte ich auch heute komplett entspannen.